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Yvonne Frei über ihren Einsatz im Februar 2020:
Jeder hat seine eigene Geschichte und alle sind ungemein dankbar für die Behandlungen, die sie erhalten haben. 

Ich schaue aus dem Flugzeugfenster von „Schrott-Air“ auf dem Weg von der Hauptstadt Bischkek nach Osch und sehe bei wunderbarem Winterwetter die hohen Bergspitzen des Pamir. Seit fast fünf Jahren führen wir nun das Hauptprojekt der Stiftung Zuversicht für Kinder hier in Kirgistan. Wahnsinn, wie die Zeit vergeht. Dabei fragen wir uns: „Haben wir etwas erreicht? Haben wir etwas bewirkt mit unseren Einsätzen? “Als der Flieger auf der holprigen Landebahn in Osch aufsetzt, ist das für uns genauso gewohnt, wie der chaotische Verkehr auf dem Weg ins Spital. Wir wundern uns nicht mehr über den herabfallenden Putz am alten russischen Plattenbau, nicht mehr über die katakombenartigen unterirdischen Verbindungen der verschiedenen Spitaltrakte. Es ist alles normal. Das Wartezimmer ist wie gewohnt und überfüllt mit Menschen. Die Patienten kreuzen hier immer mit der halben Familie auf, die sie dann während der stationären Behandlung versorgen werden. Madina, eine junge Frau, eine der Patientinnen der ersten Stunde, begrüsst uns überglücklich mit einem schönen Lächeln. Wir kennen so viele der wartenden Patienten. Jeder hat seine eigene Geschichte und alle sind ungemein dankbar für die Behandlungen, die sie erhalten haben.

Wir treten ins Behandlungszimmer ein. Die beiden alten grauen Schweizer Zahnarztstühle sind uns vertraut. Danjiar, Nursultan und Asamat umarmen uns gewohnt herzlich, als ob wir Familienmitglieder wären. Saikal und Aidana begrüssen uns als alte Freunde. Wir ziehen uns um und fangen an zu arbeiten, so wie wir es die letzten fünf Jahre auch gemacht haben. Ein Patient nach dem anderen wird aufgerufen und Marcel, dem Kieferorthopäden, vorgestellt. Es wird besprochen, was seit der letzten Planung gelaufen ist und diskutiert, wenn etwas optimal werden kann. Schliesslich wird entschieden und notiert, was die nächsten Schritte in der Behandlung sein sollen. Saikal, die Logopädin, kontrolliert ihre Patienten und bespricht einige davon interdisziplinär mit Marcel. Aidana, die junge Helferin rotiert zwischen den beiden Behandlungsstühlen, um den Anforderungen der Zahnärzte gerecht zu werden. Ich unterstütze wo gerade Not am Mann ist. Es ist insofern ein spezieller Einsatz, da wir die Aufbauphase des Projektes nun als abgeschlossen erklären. Was jetzt folgt ist die Ablösungsphase, in der wir den Kirgisen in kleinen Schritten immer mehr das Ruder übergeben wollen.

Müde schauen wir aus dem gleichen Schrottfliegerfenster wie vor zwei Wochen. Unser Einsatz ist vorbei. Wir haben beide viele Patienten gesehen, besprochen und täglich viele Stunden gearbeitet. Marcel hat viele Planungen mit den Zahnärzten erarbeitet und fixiert. Wir haben viel gezeigt, dokumentiert und selber gelernt. Ich habe einige Kindergärten sowie ein Waisenhaus besucht sowie Prophylaxe geschult. Auf die Frage, ob wir etwas bewirkt haben, kann ich jetzt mit einem klaren Ja antworten. Wir durften unser Wissen weitergeben. Wir sehen, wie es die kirgisischen Ärzte anwenden. Nicht immer perfekt, nicht immer nach unserem Schweizer Standard, aber nach bestem Wissen und Gewissen. Für die nächsten Jahre dürfen sie auf uns und unser Know-how zählen. Irgendwann werden sie dann soweit sein, dass sie selbstständig den Spaltkindern in Kirgistan helfen können, ein selbstbestimmtes und würdiges Leben zu führen.