Dr. Beat Hammer, Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurge, besucht zum ersten Mal Kirgistan und wird Teil unseres Teams.
Danijars Augen leuchten während des Briefings für die geplante sagittale Spaltung desUnterkiefers. Ich sehe, wie sich in Danijars Kopf die chirurgischen Bilder formieren, als Prof. Beat Hammer Schritt für Schritt den bevorstehenden Eingriff erklärt. An einem Kiefermodell zeichnet Beat die Schnittführung ein und erklärt, wo es heikel wird. Danijar ist in freudiger Erregung und kann es kaum erwarten, mit dem Schweizer Professor im Operationssaal zu stehen. Die Hierarchie bestimmt heute die Positionen am Operationstisch: Vis-à-vis von Beat steht Prof. Osch I, der zwar auch interessiert dabei ist, aber ausser Absaugen und Abhalten dem Operateur kaum zur Hand geht. Danijar, eigentlich zweiter Assistent, steigt zwischendurch auf den Metallsockel der Operationsliege, um Beat zur Hand zu gehen. Und dann sind da noch die anderen zehn Köpfe: Osch II, die Operationsschwester, ein Chirurg aus dem Spital in Dschalalabad, dessen Patientin unter den Tüchern liegt, der Hilfsanästhesist, Nursultan und Asamat. Dann soll ich vorgelassen werden, um die finale Bisseinstellung zu bestätigen, bevor der getrennte Unterkiefer neu verschraubt wird. Und weiter sind da noch Yvonne mit dem Fotoapparat und eine zweite Hilfsassistentin in rosa, die mit ihrem Handy noch ein Selfie direkt aus dem OP mit rosa Herzchen versehen in die Welt hinaussendet. Es gibt organisatorisches Optimierungspotenzial, das uns Beat am Abend beim Debriefing aufzeigt. Es dient als Vorbereitung für den kommenden Tag: Die nächste sagittale Spaltung mit zusätzlicher Kinnrandverschiebung. Diese Operation verläuft dann schon viel übersichtlicher und geordneter. Osch I überlässt das Feld noch so gerne seinem Sohn. Er wird sich künftig hauptsächlich auf sein Gebiet, die Primäroperationen, beschränken, also Lippen- und Gaumenverschluss. Er gibt seine Position via-à-vis von Beat an Danijar ab.
Die Patientin, die am zweiten Operationstag narkotisiert ist, trägt Brackets, an denen die Standardhäkchen und die zusätzlichen Kobajashi-Ligaturen fehlen: Ich muss sie gegen Ende der Operation noch anbringen, damit die Schienung des Kiefers mit den Latexringen angebracht werden kann. Hier lernt auch Beat am Operationstisch noch was dazu: Künftig könnte er solch fehlende Hilfsteile direkt selber anbringen, falls einmal der Kieferorthopäde diese Vorbereitung verpasst haben sollte. Nach dem Mittagessen stehen wir dann alle zusammen wieder in der Zahnklinik und sehen viele Spalt- und Syndrompatienten. Nacheinander werden sie vom HNO-Arzt und von der Logopädin Marianne Campiche mit dem ihr zugeteilten Nurlan untersucht. Schumagul übersetzt Befundung und Therapieübungen für die Kinder und Mütter. Es folgt meine kieferorthopädische Einschätzung, abgeglichen mit der Erfahrung des Chirurgen Beat unter den interessierten Augen von Danijar, Azamat und Nursultan und auch dem Chirurgen Arstanbeck, der uns weitere seiner Patienten aus Dschalalabad zur Abklärung vorstellt. Zwischendurch lässt sich auch Osch I in der Kieferorthopädie blicken, diskutiert mit Schumagul und Marianne Stellung und Aufgaben von Nurlan und beurteilt mit Beat die Ursache von möglichen Misserfolgen bei Gaumen- und Fistelverschlüssen. Prof. Osch I stellt uns dann ein fünfjähriges Mädchen vor, das mit seiner auf wenige Millimeter eingeschränkten Mundöffnung sicher nicht richtig essen kann. Die Karies an den Front-Milchzähnen ist momentan noch nicht schmerzhaft. Aber es ist auch klar, dass das Kind weder eine Chance hat, eine Zahnbürste zwischen die Kiefer zu bringen, noch dass ein Zahnarzt eine Möglichkeit hätte, einen der Backenzähne zu flicken oder zu extrahieren. Auch Beat beurteilt den Behandlungsbedarf als dringend. Er meint, die knöcherne Verwachsung im Kiefergelenk müsste man in einer mindestens vierstündigen Operation lösen. Eine erneute Verwachsung müsste durch die Einlage eines Silikonpolsters verhindert werden. Danach müssten die Eltern mit dem Kind sehr regelmässig üben, um eine gewisse Kieferöffnungsbewegung zu erreichen. Der Eingriff wird bei diesem ersten Besuch von Beat Hammer nicht mehr möglich sein, denn es fehlt sowohl das Material dazu als auch die Zeit im OP. Beat hat bereits zugesagt, dass er im Mai 2019 wieder dabei sein wird. Auch am dritten Tag wird morgens operiert. Das Anästhesiegerät, das aus dem OP der Herzchirurgie ausgelehnt ist, weil beim eigenen der BlasebalgaAutomat defekt ist, arbeitet bis zum Stromausfall grundsätzlich gut. Daran, dass es dauernd einen akustischen Alarm ausgibt, muss man sich gewöhnen. Wenn der Chefanästhesist vorbeischaut, schaltet er diesen ab, damit wenigstens zwei Minuten Ruhe ist. Als dann der Strom im ganzen Spital ausfällt, muss der Beatmungsbeutel doch von Hand bedient werden. Beat bleibt ebenso ruhig wie alle anderen und meint nur lapidar: «Wenn wir den Chirurgiemotor nicht bald wieder einsetzen können, dann müssen wir wohl zunähen und später erneut eröffnen und die OP abschliesse» Es werden dann Kabel quer durch den OP gelegt und einige Anschlüsse umgesteckt. Doch noch bevor irgendwo ein Generator zu knattern beginnt, ist der Strom im Haus wieder zurück und alles kann wie geplant weitergehen. Prof. Beat Hammer ist mit überschwänglichen Worten von Osch I verabschiedet worden.